Twigga ist eine gute Seele und hat vor Jahren schon, neben dem Skaten, die Kunst für sich entdeckt. 3 Exponate werden dieses Wochenende in der Urban Spree Galerie ausgestellt. Das ist auf jeden Fall Grund genug ihm einen Besuch abzustatten, ihn ein bisschen aus seinem ereignisreichen Leben erzählen zu lassen und die Frage zu klären wieso eine Austellung immer kostenlos sein sollte.
Hallo Twigga, gib uns doch mal deine Eckdaten.
[hustet] Ich muss was
trinken. [lacht] Also, mein Name ist Sascha Oliver Lüdtke und meine Freunde
nennen mich Twigga, geboren am 25.08.1980 im bescheidenen Fischerdorf Bremerhaven.
Da wo die Möwen kreisen.
Dann hat dich also eine Möwe gebracht, kein Storch.
[lacht] Ja, so indirekt…
Seit wann wohnst du in Berlin?
Seit 2010 und davor habe
ich sieben Jahre in Bremen gewohnt. Ich bin aus Bremerhaven abgehauen, weil mir
das da zu bunt wurde und die Arbeitslosigkeit ziemlich hoch ist. Die Leute
entwickeln kriminelle Tendenzen, ausgeprägte Attribute der Feindseligkeit.
[lacht] Ich hatte da auch eine Weile mitgemacht, war eher high life in Dosen,
also schon ganz früh angefangen zu kiffen und andere Drogen zu nehmen. Zwar
auch immer geskatet, aber… Skaten war halt immer so meine Insel.
Dein Rückzugsgebiet…
Genau, da kam keiner von
den Idioten, die von mir Gras kaufen wollten oder so. Die kamen mir da gar
nicht in die Quere, da war ich ein bisschen auf Reha, würde ich sagen. Eine
Auszeit. Ich hätte bestimmt mehr im Skateboarding gemacht, als ich heute
vorweißen kann.
…weil ich zu high war, ja.
Wie bist du dann zur Kunst gekommen?
Ich habe so ’91 oder ’92 mit Graffiti angefangen, wir
hatten halt auch eine recht gute Szene. Das war für die Größe der Stadt schon
gut. Wir waren auch von den Amis geprägt, die da während des Kuweit-Kriegs
stationiert waren. Outfits, Skateboarding, dieser ganze Brei…
Für dich war das also normal, dass da was Kreatives und künstlerisches um dich rum war?
Ja, das war ganz normal, dass ich mich für was Kreatives entscheiden wollte. Skaten war halt ziemlich stark, aber was macht man nachts... dann malt man eben illegal oder geht, wenn es regnet in den Spörtunnel, wo wir dann Bilder gemalt haben. Das ging eigentlich ganz gut. Ich hab’ auch auf alles andere geschissen... Schule... Hauptsache Draußen sein.
Da hast du aber noch nicht gemalt, da warst du erst mal
nur sprühen, bzw. ins Blackbook gezeichnet?
Genau, ich hätte auch nie
gedacht, dass ich mal mit Ölfarben male oder eine Landschaft. Dass ich mit der
Staffelei Draußen sitze und eine Landschaft male und mir denke, dass ich echt
krass alt geworden bin. Ich hab’ dadurch eine Reife entwickelt. Ich kann damit
auf jeden Fall leben, dann hab’ ich was im Alter, auf das ich stolz sein kann.
Du hast dich also auf nichts beschränkt, du malst mit
allem?
Hmmm, im Prinzip möchte
ich nur noch mit Öl malen. Es ist schwieriger mit Öl zu malen, aber es ist halt…
viel mehr Technik, mehr Handwerk. Das ist einfach eine größere Herausforderung,
als einfach nur bunte Bilder zu malen.
Also bist du den ganz normalen Weg über Bleistiftzeichnungen
zur Leinwand gegangen?
Also ’96 wurde ich
erwischt und es gab’ eine Hausdurchsuchung. Da musste ich erst mal eine Menge
Geld zahlen, dass ich wieder cool dastehe. ’98 gab’s nochmal eine
Hausdurchsuchung, weil ich verraten wurde und musste nochmal eine beträchtliche
Summe Geld zahlen, weil ich meine Crew nicht verraten wollte und hab’ alles auf
meine Kappe genommen. Danach hab’ ich mir dann gedacht, dass das alles keinen
Sinn mehr macht, war nur noch skaten und hab’ Drogen genommen. Ab und zu hab’
ich schon noch gezeichnet, aber ich war eigentlich immer zu bekifft. Im Prinzip
hatte ich aufgehört zu Zeichnen. Dann war eben erst mal Skaten, Drogen und high
life bis ich 2005 eine Ausbildung zum Maler angefangen habe. Da hab’ ich dann
wieder angefangen kreativ zu arbeiten. Mit dem Pinsel zu arbeiten hat mich in
eine andere Welt versetzt. Da konnte ich einfach abschalten. Egal was da für
ein Stress war oder was mich nach der Arbeit erwartet hat.
Hast du die Lehre in Bremen beendet?
Ja, 2008 war ich damit
fertig. Innerhalb der Ausbildung hab’ ich mir aber noch eine Auszeit genommen,
weil ich nicht in der Lage war zu arbeiten. Ich hatte ein guten Verhältnis zu
meinem Meister und hab’ ihm von meiner Drogenkarriere erzählt und dass ich mir
immer noch jeden Scheiß reinhaue und einfach Hilfe brauchte. Zuerst habe ich
eine normale Therapie gemacht, also jede Woche einmal hin und der Frau erzählt,
was mich so beschäftigt. Ich bin dann aus den Therapiestunden raus und hab’ mir
gleich ‘nen Joint angesteckt.
Du hast es also nur gemacht, dass du sagen kannst, dass
du in Therapie bist, es aber überhaupt nicht versucht.
Genau. Die Therapeutin
meinte dann auch, dass ich zwei Möglichkeiten hätte: Entweder ich geh’ zu einer
stationären Therapie oder… Mein Meister meinte auch, dass er es nicht so geil
findet, weil ich auch oft zu spät kam und er mich immer mitziehen musste. Meine
schulischen Leistungen waren auch nicht so toll.
Dann bin ich 4 Monate in
eine Klinik gegangen und hab’ da an mir gearbeitet. Die Therapiestunden gingen
gegen 8:30 Uhr morgens los und um 19 Uhr war dann Freizeit. Dann konnte man in
die Saune gehen oder Schwimmen und dann musste man noch seinen Tagesbericht
schreiben. Aber dann hatte man immer noch Zeit. Also hab’ ich entschieden
wieder mit dem Zeichnen anzufangen, weil ich sowieso immer Papier auf meinem
Schreibtisch liegen hatte.
In einer Kunsttherapiestunde
haben wir dann so einen Klotz Ton bekommen, ich wollte aber keine Tasse oder so
einen Mist machen. Ich hab’ einfach angefangen auf diesen Klotz einzuschlagen
und hab’ daraus einen Totenschädel mit Teufelshörnern gemacht. Das Ding war
echt massiv. [lacht]
Da hab’ ich dann gemerkt,
dass das einfach Spaß macht und richtig cool ist. Wir mussten das dann auch
besprechen und ich hab’ gemerkt, dass ich mich von den anderen, die nur so
Tassen oder kümmerliche Sachen hatten, absetze. Ich bin zwar einer dieser
drogenkranken Leute, aber ich hab' da noch was anderes in mir. Ich hab’ dann
einfach weiter gemacht und da sind so Fratzen oder Dämonen entstanden. Das war
echt abgefahren.
Das ist mir auch aufgefallen, dass deine Bilder ziemlich
düster sind. Verarbeitest du da noch was oder magst du das einfach?
Ich hab’ auf jeden Fall
einen Hang zum Makaberen und zu Dingen, auf die viele Leute keinen Bock haben und
nicht sehen wollen. Oder Dinge, zu denen man normalerweise keinen Bezug hat.
Ich hab' einfach keinen Bock meine Energie in die Aufklärung von irgendwelchen
Leuten zu stecken, die es eh nicht raffen. Ich will auch keinen Überzeugen das
Drogen nehmen und Saufen einen platt machen. Das ist gar nicht mein Auftrag,
das soll jeder für sich entscheiden.
Du bist also kein Missionar, würdest aber Unterstützung
geben?
Ja, bei meinen Freunden
oder in meinem Umfeld auf jeden Fall. Ein Kumpel von mir ist auch nur am Kiffen
und hat keine Wohnung. Ich hab' ihm halt erzählt, wie ich vorgegangen bin. Na
ja, nach 2 Stunden Intensivkurs hat er halt wieder Bier gesoffen. Da agiere ich
lieber als Vorbild und mal düstere Bilder, die mich wiederspiegeln und eine
Energie ausstrahlen.
Das ist also deine Art, den Leuten zu sagen: "So
sieht's aus!"
Ja, genau. Zum Beispiel
hab’ ich mal in einer WG gewohnt, in der viele Partys gingen und mein Zimmer
sah ziemlich krass aus, da war alles voll mit Skulpturen und Bildern. Manche
Leute sind da gar nicht rein, weil sie das zu krass fanden. Irgendwann war dann
ein Mädel da, die vor einer Skulptur stand, die eine Zwangsjacke an hatte. Ich
hab’ nebenher halt ein bisschen aufgeräumt, weil ich eh nichts zu tun hatte,
weil ich ja nicht mehr saufe. Irgendwann kam sie zu mir und meinte, dass sie
genau weiß, wie ich mich gefühlt habe, als ich die Skulptur gemacht habe. Das
fand’ ich echt geil, weil ich genau das bezwecken wollte. Wir haben dann nicht
weiter darüber gesprochen, aber eine ihrer Freundinnen hat mir später erzählt,
dass sie vergewaltigt wurde und die Skulptur etwas bei ihr ausgelöst hatte.
Sie hat also ihr Gefühl darin gesehen?
Ja, genau. Es ist total
traurig, dass Leute so was machen, aber ich finde es viel wichtiger, dass man
solche Sachen dann nicht vergräbt, sondern verarbeitet und das Beste aus der
Situation macht.
Wie gehst du eigentlich an deine Bilder ran? Hast du
einfach auf einmal was im Kopf oder entwickelt sich das langsam?
Ich interessiere mich für
die ganzen alten Meister. Wenn ich ein Bild male, will ich das auch klassisch
malen, das heißt mit Grundierung und Untermalung. Die Untermalung muss stimmig
sein, damit das Auge auch was zu tun hat und den Denkprozess anheizt. Goldener
Schnitt, verschiedene Schichten auftragen und so weiter.
Was machst du wenn du nicht vor der Leinwand sitzt?
Ich arbeite bei Search
& Destroy. Peace, Ente! Ja, ich muss arbeiten. Ich verdiene kein Geld mit
Skaten oder Kunst. Das Leben ist scheiße. [grinst] Ich bin auch voll tätowiert,
also habe ich wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Das Arbeitsamt finanziert mir
noch meine Wohnung, leider nicht meine Ölfarben. Meine Boards bekomme ich bei
Skateshop24. Ja, das ist ein gutes Leben, ich beklage mich überhaupt nicht. Ich
gebe viel Geld aus, das ist noch nicht so in der Mitte…
…aber irgendwie kommst du immer rum.
Genau.
Du hast also nicht noch ein anderes Hobby oder eine
Leidenschaft?
Ich hab’ noch eine
Freundin.
Das ist ein bisschen mehr, als ein Hobby.
Full time job! [lacht] Ich
hab’ dich lieb, Schuggi!
Hast du schon mal ein Bild verkauft?
Ja, bei meiner ersten Ausstellung
für schlappe 180 Euro. Der Rahmen war aus Styropor-Stuckleisten und ich war
echt froh, dass das Ding nicht auseinander gefallen ist. Bevor ich nach Berlin
bin, konnte ich noch ein paar Sachen an eine Freundin verkaufen. Im Moment ist
es aber nicht mein Ziel mit Kunst Geld zu verdienen. Ich kann aber auch nicht
ewig im Skateshop arbeiten, die Leute denken sich irgendwann auch, was der alte
Knacker da will. Das macht dann auch keinen Sinn mehr. Ja, dann wäre es schon
cool ab und zu ein paar Sachen zu verkaufen und ein bisschen Geld zu haben.
Du arbeitest aber nicht aktiv darauf hin?
Das ist schwierig. Wenn du
mit offenen Augen unterwegs bist, bei den richtigen Veranstaltungen bist, dass
die Leute merken, dass sie sich auf dich verlassen können... das wird dann auch
wieder ein Job, wenn auch ein verdammt guter Job. Ich teile halt auch viele
Ansichten nicht oder gehe nur ungern auf Ausstellungen, bei denen ich denke,
dass die nichts mit Kunst zu tun habe. Das ist einfach nicht das, was ich für
Kunst erachte. Da hängen dann auch Leute rum, die so tun als ob. Das ist
manchmal auch mehr Quantität als Qualität, aber ich will jetzt auch nicht
haten.
Atilier, Büro und Schlafzimmer zu gleich.
Wie viel Zeit verbringst du denn zum Beispiel an diesem
Bild (ca. 2 qm) hier?
Ja, also 15 Stunden
ungefähr, aber das ist ja auch nicht fertig. Bis die Untermalung steht ungefähr
20 Stunden und dann nochmal Überarbeitung... also bei dem Bild (ca. 1 qm) hier
waren das echt viele Tage. Die hatte schon so einen anderen Gesichtsausdruck...
da machst du einen Strich falsch und schon stimmt das ganze Bild nicht mehr.
Dann schielt sie, du weißt aber nicht
warum und verbringst 2 Stunden damit, das Bild anzuschauen. Ich glaube, die
geistige Arbeit ist da fast unbezahlbar, wenn du im Bett liegst und nur an das
Bild denken kannst. Da ist es dann auch schwer einen Preis für so was zu
machen. Ich bin noch nicht an dem Punkt, an dem ich sagen kann, dass das gute
Arbeit ist, ich bin immer noch experimentell, da gibt es noch eine Steigerung.
Aber es kommt auch immer auf die Person an, wie viel ich am Ende dafür haben
will. Ich weiß auch noch gar nicht, ob ich so was mal machen wollte. Ich hatte
jetzt knapp 2 Monate Zeit 3 Bilder zu malen und das war echt krass.
Genau, diesen Freitag ist eine Ausstellung, bei der deine
Bilder zu sehen sind. Wo ist das denn und wie lange geht das?
Das ist Urban Spree in der
Revaler Straße 99, genau gegenüber von der Skatehalle. Um 18 Uhr geht's los und
endet Sonntag um 20 Uhr oder so.
Die ist also durchgehend geöffnet?
Genau, die ist durchgehend
auf, mit Party und Sektempfang für die Leute, die gerne trinken. [lacht] Ich
glaube das war für mich auch ganz cool, weil ich jetzt mal diesen Druck hatte
malen zu müssen.
Kam jemand auf dich zu oder bist du auf die zugekommen?
Ne, eine Bekannte von einem
Kumpel hatte meine Sachen bei Facebook gesehen. Und die Freundin von dieser
Bekannten musste für ihren Bachelor in Modedesign mit anderen Künstlern eine Ausstellung
von A bis Z organisieren. Und die Bekannte meinte dann, dass ich da gut
reinpassen würde, weil das Thema apokalyptischer... irgendwas... Da dachte ich
mir, dass das super passt, weil ich ja auch Misanthrop bin und ihr von mir aus
auch alle zu Hölle fahren könnt. [lacht] Das war sozusagen genau auf mich
zugeschnitten.
Also hast du die Bilder extra für die Ausstellung gemalt?
Genau, ich wollte da jetzt
nichts zu konfuses machen, ich wollte einfach nur einen Ausdruck machen.
Figurativen Kram halt... ich finde das Gesicht ist die beste Herausforderung.
Ein Stillleben ist ein Stillleben, da verändert sich das Licht, aber im Gesicht
passiert halt viel mehr.
Kennst du die anderen Künstler, die dort ausstellen?
Ich habe ein paar Sachen
von einer Künstlerin gesehen und auch noch ein paar anderen Leute, auf deren
Arbeiten ich mich schon echt freue. Als wir uns die Räumlichkeiten angeschaut
haben, war da auch so ein Typ dabei, der das halbe Gesicht tätowiert hatte und
die Augen schwarz tätowiert. Auf den Typen freu' ich mich echt schon.
Was gibt es denn zu sehen?
Kollagen, Skulpturen oder Installationen
und Bilder halt. Dann noch eine Lesung und Musik. Ich glaube, das wird richtig
gut.
Kostet das Eintritt?
Nein, sonst würde ich auch
nicht mit machen. Ich finde dass eine Galerie für jeden offen sein sollte. Ich
weiß halt wie es ist kein Geld zu haben und vor einem Schaufenster zu stehen
und zu überlegen, wie ich da rankommen könnte. Ich will einfach, dass das von
jedem gesehen werden kann. Ich mach' das eigentlich für die Leute, die das Gefühl
teilen und sich darin reflektieren. Das motiviert auch viele Leute etwas Neues
zu probieren.
Das wäre eigentlich ein schönes Schlusswort. Hast du noch
was zu sagen?
Ich hab' dich lieb', Mama!
Ich mal auch wieder was Fröhliches! Vor ein paar Jahren habe ich ihr ein Bild
gemalt, aber sie kann es nicht aufhängen, weil die Augen sie dann immer
verfolgen.
Grüße?
An die ViewCrew, Assi-Pack, Search & Destroy, Pinkhaus, alle Leute die ich liebe. Und: Danke.
Dann bedanke ich mich auch bei dir.